Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit?
Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Juli 2021 entschied, dass die bisherige Höhe der Nachzahlungszinsen nicht verfassungsgemäß ist (vgl. unser Blogbeitrag), mehren sich die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge (§ 240 AO ➚).
Bereits im Mai 2021 hat der Bundesfinanzhof (BFH) beschlossen ➚, dass ab dem Jahr 2021 „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ hinsichtlich der Funktion der Säumniszuschläge als Ausgleich für das Hinausschieben von Zahlungen bestehen. In dem damals behandelten Verfahren wurde Aussetzung der Vollziehung (AdV) jeweils für die Hälfte der Säumniszuschläge gewährt. Zwischenzeitlich sind weitere Verfahren aus den Jahren 2020 und 2021 beim BFH anhängig (VII R 55/20, VII R 19/21 und VII R 21/21), die die Höhe der Säumniszuschläge betreffen.
Wie können Steuerpflichtige nun auf die Rechtslage reagieren?
Zunächst einmal werden Säumniszuschläge ohne Bescheid festgesetzt. Ein Vorläufigkeitsvermerkt, der dazu führt dass der Sachverhalt später automatisch an die Rechtslage angepasst wird, fehlt deshalb. Auch ein Einspruch gegen die „Mitteilung“ kann nicht eingelegt werden.
Als erstes müsste ein sogenannter Abrechnungsbescheid beantragt werden, mit dem die Säumniszuschläge dann in Form eines Bescheides festgestellt werden. Erst im Anschluss daran kann – sofern der Bescheid ohne Vorläufigkeitsvermerkt ergeht – ein Einspruch eingelegt und ein „Ruhen des Verfahrens“ beantragt werden. Das Finanzamt muss diesem Antrag jedoch nicht folgen, so dass es auch zu einer Einspruchsentscheidung kommen kann. Dann bleibt nur der Weg zum Finanzgericht, wenn man den Fall offen halten und so von einer späteren Entscheidung der Richter beim Bundesfinanzhof bzw. Verfassungsgericht profitieren möchte.
Jedoch hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Zinsen erneut gezeigt, dass ein rückwirkender Wegfall der Zahlungspflicht eher unwahrscheinlich ist. Vor diesem Hintergrund sollte geprüft werden ob der zu betreibende Aufwand, um den Fall offenzuhalten, im Verhältnis zum möglichen Ertrag steht.
Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15.11.2022
In seinem Urteil vom November 2022 hat der BFH ↗ nunmehr ausgeführt, dass die Verzinsung der Steuerschuld bis zu deren Festsetzung nicht mit den Säumniszuschlägen vergleichbar ist, die für die verspätete Zahlung anfallen. In der Folge ist der – gegenüber den zwischenzeitlich gesenkten Zinsen – weiterhin bei 6% p.a. verbleibende Säumniszuschlag aus Sicht des BFH nicht verfassungswidrig.
Die Rechtsprechung des BFH ist bisher jedoch nicht einheitlich. Einzelne Senate haben (teilweise auch nur zu Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung (AdV)) anders entschieden. Ein weiteres Revisionsverfahren (XI R 18/23) ist nach einem Urteil des FG Niedersachsen aus Mai 2023 anhängig.
Update vom 17.05.2024: Hinweis auf Revisionsverfahren
Aktualisierung vom 28.06.2023: Ergänzung des BFH-Urteils und Verweis auf Blog zu den Zinsen