Verfassungsrechtliche Bedenken
Das Erbschaftsteuergesetz steht erneut vor einer verfassungsrechtlichen Prüfung. Bereits während der letzten Reform im Jahr 2016 – auf Grund eines früheren Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) – wurde bezweifelt ob die neuen Regelungen Verfassungskonform sind. Aktuell liegen zwei Verfassungsbeschwerden vor. Bei einer geht es um einen laufenden Rechtsstreit, bei der zweiten hat die Bayerische Landesregierung das Verfassungsgericht angerufen. Plietsch! schaut genauer hin und fasst die wichtigsten Infos zusammen:
Aktueller Streitfall
Die erste Verfassungsbeschwerde basiert auf einem steuerrechtlichen Rechtsstreit, bei dem der Beschwerdeführer testamentarischer Alleinerbe seiner Tante war. Bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer wurden verschiedene Vermögenswerte wie ein Wertpapierdepot und ein Einkommensteuererstattungsanspruch berücksichtigt, während eine Darlehensschuld der Erblasserin nicht steuermindernd berücksichtigt wurde. Der Beschwerdeführer klagte gegen diese Entscheidung, doch sowohl das Finanzgericht Münster als auch der Bundesfinanzhof wiesen seine Klage zurück.
Ungleichbehandlung von Privat- und Betriebsvermögen
In der Verfassungsbeschwerde wurde thematisiert, dass bestimmte Regelungen des Erbschaftsteuergesetzes verfassungsrechtlich problematisch sind. Insbesondere bemängelt wird das Fehlen einer Bedürfnisprüfung für die Anwendung privilegierender Bestimmungen zur Besteuerung von Betriebsvermögen. Nach Auffassung des Klägers führt dies zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung im Vergleich zur Besteuerung von Privatvermögen.
Stellungnahme BRAK
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat auf Anfrage des BVerfG eine Stellungnahme ↗ zum Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegeben. Dabei äußerte sie erhebliche Bedenken hinsichtlich bestimmter Regelungen des Erbschaftsteuergesetzes ↗, insbesondere was die Begünstigung von Betriebsvermögen betrifft.
Die BRAK unterstützt die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde und teilt teilweise die verfassungsrechtlichen Bedenken zu den Regelungen des Erbschaftsteuergesetzes. Sie betont, dass die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, die Revision nicht zuzulassen, das Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Zudem kritisiert die BRAK, dass das Finanzgericht Münster die aufgeworfenen Zweifel nicht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hat, obwohl dies erforderlich gewesen wäre.
Kritik an der Befreiung des Betriebsvermögens
Neben der rein fachlichen Kritik an den Vorschriften zur Befreiung des Betriebsvermögens, die mehrere Kipppunkte enthalten und dadurch bei minimalen Abweichungen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen können, gibt es auch Stimmen, die für eine generelle Abschaffung der Befreiung plädieren. So werden auf der Website des Netzwerkes Steuergerechtigkeit ↗ die jährlichen Kosten der Befreiung mit 5,7 Milliarden € angegeben. Der Verein Finanzwende e.V. betreibt seit 2021 eine Kampagne zur Abschaffung ↗ der Freistellung des Betriebsvermögens.
Ausblick
Das Erbschaftsteuergesetz steht erneut vor einer verfassungsrechtlichen Prüfung, bei der erhebliche Bedenken hinsichtlich bestimmter Regelungen aufgeworfen wurden. Die Stellungnahme der BRAK unterstützt diese Bedenken und betont die Notwendigkeit einer gerechten Behandlung von Betriebs- und Privatvermögen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird maßgeblich für die zukünftige Ausgestaltung der Erbschaftsteuer sein. Dies Auswirkungen werden, wie bereits 2016, hauptsächlich Unternehmer treffen. Es bleibt abzuwarten, wie das Gericht entscheiden wird und welche Veränderungen das Erbschaftsteuergesetz möglicherweise erfahren wird.
Klage der bayerischen Staatsregierung
Wie unter anderem das Handelsblatt berichtet ↗, wurde seitens der bayerischen Staatsregierung am Freitag, dem 18.06.2023, Klage beim BVerfG eingereicht. Hintergrund der Klage ist, dass die Bayerische Regierung eine Ungleichbehandlung sieht, da sich die Immobilienwerte bundesweit unterschiedlich entwickelt haben. Vor dem Hintergrund der fehlenden Anpassung von Freibeträgen, sieht die Regierung einen drohenden „Ausverkauf unserer Heimat“.
Bundesfinanzminister Lindner sieht in der Klage ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver, schließlich stehen im Oktober 2023 die bayerischen Landtagswahlen an. Da das Aufkommen der Erbschaftsteuer den Ländern zusteht, sieht Lindner den Bundesrat als Länderkammer in der Pflicht hier Änderungen zu beschließen, die bei den Ländern zu einem Ausfall der Einnahmen führen würden.
Einschätzung der Klage
Die Klage der Bayern dürfte eine geringer Auswirkung haben, als das zuvor genannte Verfahren. Auch bei vielen anderen (Steuer-)Gesetzen gab es teilweise über Jahrzehnte keine Anpassung von Freibeträgen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Grundlage für die Verfassungsklage eher dünn.
Selbst wenn das BVerG die Klage positiv entscheiden würde, müssten in der Folge lediglich die persönlichen Freibeträge und ggf. Steuersätze angepasst werden. Es ist daher eher mit geringen Änderungen des Gesetzes zu rechnen.
Ohnehin würden die Freibeträge möglicher Weise in Folge des ersten Verfahrens angepasst werden müssen, wenn größere Teile von Betriebsvermögen zukünftig steuerpflichtig werden.
Kritik vom Netzwerk Steuergerechtigkeit und Bürgerbewegung Finanzwende
Wie die Süddeutsche Zeitung ↗ berichtet, hat das Netzwerk Steuergerechtigkeit die Klage Bayerns kritisiert. Nach Aussage der Sprecherin betrifft die Erbschaftsteuer nur etwa 5% der Bevölkerung. Denn nur diese erhalten überhaupt Erbschaften in einer Höhe, die die Steuerpflicht auslösen kann. Durch die Förderung der Milliardäre trage Söders CSU nach Ansicht des Netzwerks so zu einer Spaltung der Gesellschaft bei.
Auch die Bürgerbewegung Finanzwende kritisiert, dass Söder „nicht für die bayerische Mittelschicht, sondern für Milliardäre in ganz Deutschland“ kämpfe.
Fazit
Die Erbschaftsteuer bietet diverse Möglichkeiten der Erleichterung bei der Vermögensübertragung. Da diese jedoch auf bestimmte Anwendungsfälle begrenzt ist, stellt sich wiederholt die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen. Es ist damit zu rechnen, dass das Bundesverfassungsgericht keine überstürzte Entscheidung trifft. Neben der oben bereits genannten Stellungnahme der BRAK werden auch noch zahlreiche weitere Stellungnahmen zur Entscheidung hinzugezogen werden.
Wir rechnen damit, dass das BVerfG dem Gesetzgeber erneut auffordern wird, die Regelungen zu überarbeiten, um zu einer gleichmäßigen Besteuerung zu kommen.
Aktualisiert am 14.08.2023: Defekten Link zum Handelsblatt entfernt